erschienen bei

zurück

Vorwort von Marie-Louise Jung

"Der Tod hat ja nicht das letzte Wort, wohl aber das Leben - das menschliche Leben!" lautete der letzte Satz der Rede von Max Hamburger 1986 in Kassel beim Rosenzweig Kongress. Die Fülle dieses Satzes wird von Max Hamburger durch ein Zitat Elie Wiesels ergänzt, der sagt:" Die Stimme der Überlebenden darf nicht verhallen. Der Auftrag ist: das Unsagbare zu verworten, wenn das auch eine übermenschliche Aufgabe ist. Wir dürfen nicht schweigen. Schweigen wäre ein Verrat an all denjenigen, die nicht mehr sprechen können!"
Jene "Verantwortung" des Unsagbaren spiegelt sich in den Beiträgen, Reden, Essays Max Hamburgers wider. Sie ist das Mittel, durch welches sein "unverwüstlicher Optimismus" sichtbar, authentisch, glaubwürdig wird. Anlässlich der Eröffnung der Installation "Die zwölf Stämme Israels" der Künstlerin Christiane Rohleder im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn hielt Max Hamburger im Januar 2001 seine Rede mit dem Titel: "Wo war Gott in und nach Auschwitz?"
Diese Rede zeichnet sich aus durch ihre Loslösung vom Muster der Anklage, ebenso wie der erwähnte Beitrag zum Kongress 1986; sie verleiht Hamburgers Optimismus erneut Ausdruck und Kraft, ja fast Stolz. Im kongenialen Zusammentreffen der Mittel des Sprechers mit denen der Künstlerin im Januar 2001 wurde die Gegenwart der Vergangenheit erneut lebendig. Hier kamen zwei Bewusstseinslagen, die des Überlebenden der Shoah und die der Künstlerin, auf prägnante und einfühlsame Weise zum Ausdruck. Daß das oben erwähnte Ereignis im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dann zur Initialzündung für die Idee der Entstehung dieses Buches diente, war naheliegend.
Im vorliegenden Buch werden die Ereignisse der Vergangenheit bis in die Gegenwart hinein chronologisch durch Worte und Bilder nachvollzogen, die sich ergänzen, die selbst schon Interpretation sind. Die Bilder von Christiane Rohleder illustrieren wortlos die Reise individuellen Schicksals. Gottvertrauen, Deportation, Trauer, Leid und Vernichtung entehrter Menschen werden durch die Stimmen der Betroffenen gegenwärtig: durch den Brief des Ehepaares Moses und Sanny Walter an ihre Kinder und den des Rabbiners von Grabow, Jacob Schulmann, beide aus dem Jahre 1942.

Der Lebensweg Max Hamburgers öffnet eine über Auschwitz hinausgehende Dimension, die jenseits der Vernichtung die Neu- Erschaffung jüdischen Lebens, jüdischer Tradition und jüdischer Identität wieder auferstehen lässt. Getragen von seinem unerschütterlichen Glauben "sich bedingungslos für das Leben" zu entscheiden, ist es Max Hamburger gelungen, dieses Leben zurückzuholen an einen konkreten Ort. In der Synagoge zu Meersen in den Niederlanden hat er, zusammen mit anderen, der Stiftung Lehrhaus Limburg einen festen Platz etabliert, der zugleich Ausgangspunkt von jüdischem Gedankengut und dessen Verbreitung ist, Vergegenwärtigung und Visualisierung der Beständigkeit jüdischer Tradition jenseits menschlichen Versagens, jenseits von Anmaßung und der Zerstörung menschlicher Werte. Ein Ort der Wiederherstellung der Ehre, des Respekts, ein Ort der Begegnung und des Vertrauens. Über die Landesgrenzen der Niederlanden hinaus hat Max Hamburger sich dem Dialog im Sinne jüdischer Lehrhaustradition verschrieben. In diesem Sinne gilt die vorliegende dreisprachige Veröffentlichung als ein Beitrag zu diesem Dialog.

Wort und Kunst begegnen sich hier und gehen miteinander ihren Weg. Ziel dieses Weges ist das Bewusstmachen, dass jüdisches Denken ein Wesensmerkmal europäischer Kultur ausmacht und deren Zukunft prägen wird. Denn, der Tod hat nicht das letzte Wort.