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Rezension von Marie-Louise Jung

Mariella Righinis »Cappuccino« ist nicht etwa das beliebte und viel getrunkene italienische Kaffeegetränk, sondern der vor kurzem auf dem deutschen Buchmarkt beim Verlag Roman Kovar erschienene Roman der Italienerin. Die in Florenz aufgewachsene Schriftstellerin machte Paris zu ihrer Wahlheimat, wo sie am Institut d'Etudes Politiques ihr Studium
absolvierte. Heute ist Righini in der Hauptstadt dieser Heimat als Journalistin tätig für den »Nouvel Observateur«, zudem dessen
stellvertretende Chefredakteurin.
Was war wohl der Grund dafür, dass Righinis bei Flammarion im Original
erschienener Roman zum Bestseller des Sommers 1999 wurde? Und wie kann es sein, dass in Ländern wie Frankreich, Spanien, Griechenland, Polen, China und auch Taiwan diese Lektüre die Herzen der Leserinnen und Leser erobert?
Das Geheimnis: »Cappuccino« ist ein Ort, mitten in Paris, ein Café, in dem vier Frauen die Akteurinnen auf der »Empore« sind. Hinter der Kulisse: der unfreiwillige Zuhörer der Handlung, Ottavio, der Barista, ein
neapolitanischer Student der Academia delle Belle Arti, der zwecks
Finanzierung seines Studiums hier in Paris seine Ferien verbringt und im
Dienste seines Chefs, eines Italo-Amerikaners, in dem zur
»Cappuccino-Kette« gehörigen Café betörende Getränke sachkundig kreiert und serviert. Er ist der Repräsentant einer jahrhundertelangen Kaffeetradition mit historischer Bandbreite. Beim Lesen fühlt man sich zur Nachahmung der zauberhaften und verzaubernden Köstlichkeiten animiert, und es erstaunt nicht, dass Ottavios Meisterrezepte vier Damen in ihren Bann nehmen und deren Redefluss fördern.
Das Café wird zum regelmäßig wöchentlichen Versammlungsort der
lateinamerikanischen Pianistin Sylvana, Lily, der Pressesprecherin eines
Modehauses, der Schauspielerin und Drehbuchautorin Diane, deren Obsession Brasilien gilt, sowie der souveränen und weitsichtig agierenden Ukrainerin Ilona, die in Paris als Professorin für Slawistik tätig ist. Vier Intellektuelle, die durch die Welt reisen, um stets an diesen Ort zurückzukehren.
»Cappuccino« wird so zum kosmopolitischen Sammelbecken, denn die
internationalen Damen haben vielseitige Beziehungen mit Männern, die den unterschiedlichsten Kontinenten bzw. Kulturkreisen entstammen. Righini erzählt nicht bloß die Liebesaffairen und Abenteuer dieser Frauen, die sich gegenseitig mit großer Offenheit, Komik, Witz, Charme, Ironie und Ernst ihre Geheirnnisse anvertrauen. Righini geht mit Klugheit und Feingefühl auf die äußerst vielschichtige Dimension der interkulturellen Begegnungen und der daraus resultierenden Bewusstwerdung von Differenzen ein. Differenzen, die auf den ersten Blick in Unverständnis münden mögen, auf den zweiten jedoch die Relativierung des eigenen Standpunktes ermöglichen.
Im Dialog der Frauen über ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit Liebe und Sexualität legt die Autorin u.a. Vorurteile bloß, die seit Jahrhunderten innerhalb der jüdisch-christlichen Zivilisation das Etikett der Sünde tragen. Der Autorin ist daran gelegen, auf die Verknüpfung von Sexualität und Sakralem im Orient zu verweisen, wodurch die Beziehung zwischen der selbstbewussten lateinamerikanischen Pianistin und dem nubischen UNO Diplomaten Salim einer Enttabuisierung gleichkommt. Sylvana gewinnt Selbsterkenntnis, die sie aus ihrer Beziehung mit dem Nubier ableitet: »Dank Salim werde ich reifer ... Ich beginne, ihn zu akzeptieren, wie er ist. Sein Anderssein zu respektieren. Ich lerne Konzessionen zu machen und nur das Beste zu nehmen. Vor allem Vertrauen zu haben. Unbeschreiblich, wieviel besser ich mich seitdem fühle!«
Durch den Einblick, zu dem Ilona ihren Freundinnen mittels des Tarot verhilft, erscheint Salim als der vorübergehend in der europäischen Kultur lebende, einem höheren Ideal dienende Orientale. Er ist ein der Religion des Islam verpflichteter Funktionsträger, der im Okzident nichts in Übereinstimmung findet mit dem, was man ihm im Orient beibrachte. Somit fehlen ihm klare Bezugspunkte, und trotzdem muss er sich vollkommen an diese Kultur anpassen, die der seinen fremd ist. Es muss als geradezu atemberaubend bezeichnet werden, wie Righini mit literarischer Leichtigkeit die gesellschaftspolitisch hochbrisante Dimension der Vernetzungen terroristischer Bedrohung der Weltgemeinschaft mit ins Spiel bringt.Ottavio, hinter der Kulisse länger als zunächst geplant, ein zunehmend wissbegieriger Student, kann nicht umhin, nach mehr als sechs Monaten des Studiums an der »Fakultät der Professorinnen im Cappuccino« ihnen insgeheim seine tiefempfundene Hochachtung und aufrichtige Liebe einzugestehen. »Diese Frauen, die ich am Anfang für verdammte Lustweiber, Rassehündinnen, gekrönte Bienen, abgefeimte Verdreherinnen, Massenmörderinnen,unersättliche Männerverschlingerinnen, zügellose Luder ohne Glauben noch
Gesetz, agnostische Gottesanbeterinnen, gefährliche Powerfrauen,
bestrickende Zauberinnen gehalten hatte, gewannen meine Achtung und mein Vertrauen. Im Laufe der Wochen, in denen ich sie besser kennengelernt hatte, hatte ich ihre Aufrichtigkeit und ihre Kühnheit
immer mehr zu schätzen gelernt. Schön und interessant, tiefgründig und
großzügig, aber auch verletzbar und rührend, wie sie waren, waren sie, und das musste ich doch zugeben, viel menschlicher als wir Männer. Und so viel lebendiger! Nein, meine Damen, ich hasse Sie keineswegs!«
Hier geht es um die bewusste Wahrnehmung von Wesensunterschieden und deren Anerkennung, um die Freude an der Existenz und deren Vielschichtigkeit, die der Langeweile keinen Platz lässt. Righini ist ein literarisches Werk gelungen, dem in dem Land, das als die Wiege der Revolution und Aufklärung in die Geschichte eingegangen ist, beim Erscheinen des Romans sofortige Anerkennung zuteil wurde.
Der deutsche Verlag ist zu beglückwünschen, dass er dem hiesigen Buchmarkt diese aktuelle, den Zeitgeist widerspiegelnde Lektüre zur Verfügung stellt.
»Cappuccino« ist von den insgesamt acht Romanen der Autorin erst der dritte in der deutschen Übersetzung publizierte. Manche Leserinnen werden nach beendeter Lektüre der Schauspielerin Diane beipflichten: »Wir sind nicht mehr wie das Buch, das die Männer auf der Seite geöffnet finden, wie sie es liegengelassen haben. Sie sind erstaunt,wenn sie sehen, dass unsere Seiten sich ohne sie umdrehen.«