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Einführung von Dr. Ruth Hagengruber

Eine nahezu physische Rückkehr aus dem Reich der christlichen Theologie in das Land des Ursprungs bietet der dritte Beitrag, dessen politische Handlungsphilosophie im Land der Bibel angesiedelt ist. Marie-Louise Jungs „Handlungsstrategien für den Frieden von Frauen im Nahen Osten – Sharing Jerusalem. Jerusalem Link als Friedensinitiative“ vergegenwärtigt das politische und menschliche Chaos, das heute den Ort des Ursprungs der christlichen Tradition bestimmt. Hätten die Frauen einst eine andere Tradition geschaffen, können sie heute am Anfang einer neuen Geschichte stehen? Könnten Frauen bessere Grundlagen für eine lebbare Wirklichkeit entwerfen? In diesem Text erfahren wir von einer Initiative, in der Frauen den politischen Auftrag angenommen haben, alternative Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Die Frage des Erscheinens und Nichterscheinens von Frauen und ihrem kulturellen Einfluss wird schon lange und immer noch thematisiert. Was mit der Beschreibung von äußeren Merkmalen begonnen hat, wird in den vorliegenden Beiträgen weitergeführt und fokussiert auf die Frage hin, wie sich die alternativen Erkenntnis- und Handlungsweisen von Frauen gezeigt haben, wie sie verstanden werden können und wie sie sich in Zukunft gestalten könnten.

Handlungsstrategien für den Frieden von Frauen
im Nahen Osten - Sharing Jerusalem.
Jerusalem Link
als Friedensinitiative
von Marie-Louise Jung


Moly Malekar (links) und M.-L. Jung im Dan Panorama Hotel, Jerusalem, September 2003

Handlungsstrategien für den Frieden von Frauen
im Nahen Osten - Sharing Jerusalem.
Jerusalem Link als Friedensinitiative

Einleitung: Frauen als Wissensträgerinnen für politisches Handeln
„Women in Black“ – Bewegung als Ausdruck von Solidarität
Entstehungsgeschichte palästinensischer Frauenorganisationen
„Jerusalem Link“
Aussichten


Einleitung: Frauen als Wissensträgerinnen für politisches Handeln
Sandra Hardings Beschreibung der „Frau als Erkennende“ ist im Zusammenhang mit dem hier erörterten Thema israelischer und palästinensischer Frauen innerhalb der Friedensbewegung ein wesentlicher erkenntnistheoretischer Ansatz.
„Frauen (stellen) als Subjekte der Erkenntnis, als Akteurinnen auf der Bühne der Geschichte, als Menschen, deren Lebenserfahrungen gegenüber den Lebensweisen der Männer in den herrschenden Gruppen andere und in mancher Hinsicht vorzuziehende Grundlagen für Erkenntnisansprüche ... dar.“ (Harding 61)
Diese Sicht ist eine eindeutige Aufforderung an Frauen, sich für feministisch orientiertes Handeln zu entscheiden; eine Aufforderung zur Anwendung von Wissensformen und Herangehensweisen, die sich außerhalb etablierter Normen bewegen. Dies erfordert Mut, Mut sich von tradierten Denkschemata zu befreien, neue Wege einzuschlagen, bereit zu sein, sich der Kritik konservativer Kräfte zu stellen, mehr noch, sich ihnen entgegenzustellen.
Wann und unter welchen Umständen nehmen Frauen die dringende Notwendigkeit für solches Handeln wahr? Sind es nicht die historisch einschneidenden Momente, in denen die eigene Ohnmacht bewusst wird? Wenn das unter Anerkennung der bestehenden Normen und Theorien praktizierte gesellschaftliche Verhalten erstarrt und der Unterdrückung preisgegeben ist und somit erst recht die Verfestigung bestehender Systeme sanktioniert?
In Gesellschaften wie Israel oder arabischen Nachbarländern, wo traditionell etablierte androzentrische Machtstrukturen die Entwicklung einer gleichgestellten zivilen Bevölkerung und die Zusicherung allgemein verbindlicher Menschenrechte behindern, haben Frauen einen ungleich schweren Stand. Wie und unter welchen Voraussetzungen können diese Rechte herbeigeführt und anschließend ungehindert ausgeübt werden? Durch welche Entscheidungsgremien, Institutionen und Initiativen müssen sie repräsentiert werden, um letztlich zu gesellschaftlicher Anerkennung und politischer Einflussnahme zu führen? Welche Hürden müssen Frauen in Kriegsgebieten oder den Frieden anstrebenden Regionen nehmen, wenn sie von der Basis aus Einfluss nehmen wollen auf die Politik? Wie gelingt es Frauen in solchen Gesellschaften, dass sie in der von S. Harding beabsichtigten Weise als „Subjekte der Erkenntnis“ agieren können?
„The Jeruslem Link. A women’s joint venture for peace” ist das herausragende Beispiel für das politische Engagement von palästinensischen und israelischen Frauen mit dem Ziel der Etablierung des Friedens in ganz Israel.
Anhand von drei wesentlichen Gesichtspunkten werden die historische Brisanz, der außergewöhnliche Mut und die Einzigartigkeit dieser Frauen deutlich. Hier geht es um Frauen, die wir zurecht als „Akteurinnen auf der Bühne der Geschichte“ bezeichnen sollten. – Ausdruck finden diese Gesichtspunkte erstens in der israelischen Bewegung der „Frauen in Schwarz“, zweitens in der Entstehung und den Zielen palästinensischer Frauenorganisationen und Frauenrechtlerinnen. Drittens erfolgt deren Sichtbarmachung in den intensiven Strategien zur Überwindung nationaler und ethnischer Grenzen, die in dem Projekt „The Jerusalem Link“ entwickelt und in die Praxis umgesetzt werden.
1. „Women in Black“ – Bewegung als Ausdruck von Solidarität
In ihrem Aufsatz „Gender, Nation, and Women as Subjects“ (Women for peace, 1997) untersucht Elisabeta Donini, inwiefern die Begriffe Nation und Gender zusammenfließen, wenn es um die Frage Gender und Krieg beziehungsweise Frieden geht. Das Phänomen der sogenannten „Frauen in Schwarz“, einer politischen Initiative, die sich in verschiedenen Teilen der Welt Gehör verschaffen konnte, wurde unter anderem während des Golfkrieges in Israel relevant. 10 Israelinnen begannen im Januar 1988 sich in der Öffentlichkeit mit der an die Politiker und das Militär adressierten Forderung „Beendet die Besatzung!“ zu artikulieren. Diese Äußerung hatte eine schnell sich verbreitende Bewegung zur Folge. Sie erreichte nahezu epidemischen Charakter in doppelter Hinsicht: Indem diese Frauen schwarze Kleidung, das Symbol der Trauer, in der Öffentlichkeit als Demonstrationsmittel trugen, bekannten sie sich zu Schmerz und Ablehnung im doppelten Sinn.
Hinsichtlich des palästinensischen Volkes demonstrierten sie durch ihr Bekenntnis Solidarität mit den Unterdrückten, gegen die Besatzung und Unterdrückung. Durch ihre öffentliche Stellungnahme zwangen diese 10 Frauen die eigene Gesellschaft zur Wahrnehmung des Boykotts bestehender internalisierter, androzentrischer Machtstrukturen. Sie bekannten sich dazu, das palästinensische Volk moralisch zu unterstützen und ihm zu seinem Recht auf Selbstbestimmung verhelfen zu wollen. Hinsichtlich des eigenen Volkes stellte die Handlungsweise dieser Frauen eine Anklage gegen die aus der männlich herrschaftlichen Domäne heraus praktizierte Gewalt dar.
Die politische Waffe dieser Frauen ist ein klares Ausdrucksmittel ihrer eigenen Abtrennung und Distanzierung von der als „course of death“ (Donini) zu bezeichnenden historischen Erfahrung innerhalb einer speziellen kollektiven Identität – der Tragik der Shoa. Dieser „Lauf des Todes“ nämlich birgt die Gefahr in sich, dass bewusst aggressives Verhalten legitimiert wird durch den Verweis auf die Erinnerung an Verfolgungen innerhalb der eigenen Geschichte, so dass bewaffnete Verschanzung ausgeübt wird. Sie dient als Schutz vor erneuter Verfolgung und wird so zur anerkannten Politik deklariert. Yvonne Deutsch (Women for Peace 68), Mitbegründerin der israelischen Bewegung „Frauen in Schwarz“, analysiert die komplexe Dynamik, die dem aggressiven Verhalten der Besatzer zugrunde liegt.
Die historisch existenzielle Unsicherheit des jüdischen Volkes, die sich mit der Geschichte der Gründung des Staates Israel vermischt, sowie die Reaktion der arabischen Welt auf die Gründung dieses Staates, hatten erneut die Ghettomentalität zum Tragen gebracht. Diese Mentalität erreichte ein solches Ausmaß, dass die Juden sich als Unterdrückte empfanden, obwohl sie selbst Besatzer und Aggressoren geworden waren. Da die Israelis mit dem Mythos des Zionismus und des „moralischen Militärs“, das ausschließlich der Selbstverteidigung diene, aufgewachsen waren, musste zunehmendes Misstrauen gegenüber dem eigenen Militär als besonders schmerzhaft empfunden werden. Wer sich mit dem Militär identifizierte, identifizierte sich automatisch mit der Nation und dem Staat, in dem er lebte, also mit dem Unterdrücker. Für diejenigen, die Einwanderer und Flüchtlinge waren, war es schier unmöglich, sich kritisch gegenüber der praktizierten Aggressionsdynamik zu äußern, denn dadurch hätten sie sich von der Nabelschnur der israelischen Gesellschaft abgeschnitten (Deutsch). Sie wurden also ungewollt oder unbewusst nach außen hin Bestandteil der Besatzungsmacht. In diesem Zusammenhang kann auf die Kommentare von Amnon Neustadt verwiesen werden, der unter anderem den Stellenwert des Militärs in der israelischen Gesellschaft kritisch beleuchtet. „Wir waren, insbesondere nach dem israelischen Sieg im Sechstagekrieg 1967, nicht mehr nur die Verteidiger des eigenen Landes. Wir waren die Armee des jüdischen Staates, die sich nun ohne weiteres mit den besten Armeen der Welt in eine Reihe stellen konnten. Wir wurden plötzlich zum Symbol des neuen jüdischen Selbstverständnisses und dies weltweit. Die Vorstellung der israelischen Standhaftigkeit wurde zum wichtigen Stützelement der neuen jüdischen Identität ... Im Namen der Sicherheit wurden Bedürfnisse des einzelnen der etablierten kollektivistischen Norm untergeordnet.“ (Neustadt 38, 41). Da das kollektive Bewusstsein im Staat Israel auch maßgeblich durch die hebräische Literatur geprägt und gefördert wurde, sei auf den Stellenwert des Mythos vom Helden innerhalb des zionistischen Narrativ verwiesen. Anat Feinberg, Professorin für hebräische und jüdische Literatur an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, konstatiert: „Die literarischen Werke, die im noch jungen israelischen Staat entstanden, sind eng mit der zionistischen Ideologie verknüpft. Sie reflektieren lediglich die Ideale und Werte des weltlich orientierten Zionismus. Sie preisen den neuen Juden, den Sabra, als Vorbild des israelischen Kollektivs. Der neue Held, gutaussehend und selbstbewusst, kennzeichnet den Neuanfang im Vaterland, markiert den Übergang von Passivität, Schwäche und Leben in Furcht unter Nichtjuden (Gojim) zu einem aktiven Dasein voller Vitalität und Stärke im eigenen Land.“ (Feinberg, 147)
Doch die „Frauen in Schwarz“, obgleich Angehörige des „Kollektivs“, erkannten, dass hier ein radikal feministischer Ansatz, nämlich die Beteiligung der Frauen an politischen Prozessen mittels Durchbrechung gewohnter Verhaltensstrukturen gefordert war. Die Abtrennung von dominanter Mentalität ist ja nicht gleichzusetzen mit Nicht-Beteiligung innerhalb der Gesellschaft; im Gegenteil führt eine solche Haltung zur Entdeckung der eigenen Zugehörigkeit auf emotionaler und politischer Ebene. Cynthia Enloes Feststellung „Das Persönliche ist international“ und die Rückwärtslesung dieses Satzes „Das Internationale ist persönlich“ (Women for Peace 175) macht auf den empfindlichen Nerv aufmerksam, der durch entsprechendes Verhalten der Bürger innerhalb einer Gesellschaft getroffen werden kann. Regierungen sind angewiesen auf zwischenmenschliche, innerstaatliche Beziehungen. Regierungen benötigen mehr als Diplomaten, Geheim- und Nachrichtendienste, um politisch etablierte Mechanismen aufrechtzuerhalten. Sie sind abhängig von Frauen und Ehefrauen, die die Männer in den genannten Funktionen bereitwillig mit unbezahlten oder bezahlten Diensten versorgen. Jene Männer bauen dann Vertrauensverhältnisse zu Männern anderer, ebenso gestalteter politischer Systeme auf. In Wirklichkeit wird so die Vorstellung vom vermeintlich autonomen Staat, von der Nation, zugunsten maskuliner Würde und auf Kosten femininer Opferbereitschaft realisiert. Gelingt es nun Frauen, androzentrische politische Kontrolle im Augenblick der Bedrohung von Schwächeren zu durchbrechen, kann das Bewusstsein vieler Menschen positiv beeinflusst werden. Im Falle der Aktionen der 10 Israelinnen wurden tief angesiedelte Fragen sowohl emotionaler als auch politischer Dimension ans Tageslicht gebracht. Wer glaubt, dass die Trennung zwischen persönlichem und politischem Engagement möglich sei, unterschätzt die destruktive Kraft dieses Bewusstseins. Wenn die Existenz des Bösen in uns gedanklich erlaubt ist, so ermöglicht sie damit das Böse und die Zerstörung ziviler Ordnung innerhalb einer Gesellschaft.
Die Aktionen der 10 israelischen „Frauen in Schwarz“ werden in einem anderen Zusammenhang metaphorisch beschrieben mit „die vor Schmerz aufschreienden und heulenden Körper“; hier lag möglicherweise die Initialzündung dafür, dass palästinensische Frauen sich mit den Demonstrationen der Israelinnen identifizierten; dass sie sich solidarisch fühlten, d.h. eine persönliche, emotionale Erfahrung mit diesen Frauen teilten. Das Verhalten der Israelinnen gegenüber der israelischen Besatzung war ein Novum, das in diesem historischen Moment ein Bindeglied zwischen Frauen darstellte, also ein übergeordnetes Prinzip. Um dieses übergeordnete Prinzip zu verdeutlichen, ist die Betrachtung der Situation aus der Sicht der Palästinenserinnen erforderlich.
2. Entstehungsgeschichte palästinensischer Frauenorganisationen
Dr. Sumaya Farhat-Naser, palästinensische Professorin für Botanik und Ökologie sowie Autorin des 1995 erschienen Buches Thymian und Steine. Eine palästinensische Lebensgeschichte, schildert auf ergreifende und eindrucksvolle Weise die Entstehungsgeschichte der palästinensischen Frauenrechtsbewegung. Anfang Dezember 1987 brach in den von Israel besetzten Gebieten nach 20 Jahren der palästinensische Volksaufstand, die sogenannte Intifada aus. Intifada ist der arabische Begriff für „abschütteln, etwas loswerden“. Das Wort meint auch „das Beben des Körpers, der vor Wut und Aufregung von Krämpfen geschüttelt wird. Intifada wurde zur Bezeichnung für die palästinensische Volkserhebung gegen die israelische Besatzung. [Sie] war weder geplant noch terminiert – sie war eine spontane Reaktion auf die ständigen Demütigungen.“ (Farhat-Naser 121)
Während der zwanzigjährigen Besatzung hatten Menschen im Untergrund der palästinensischen Bevölkerung “... eine Widerstandskultur entwickelt, die sich auf das Recht der Menschen auf Befreiung berief.“ (Farhat-Naser 121) Die gebildete Schicht der Palästinenser hatte die Lebenssituation der Israelis, deren Rechtsgrundlagen und demokratische Grundordnung mit ihrer eigenen Lage verglichen; die israelische Verfassung sicherte den Israelis Menschenwürde. Die Israelis konnten ein kulturelles Leben nach ihren Vorstellungen gestalten, stolz sein auf eine nationale Identität. „Palästinensern war dies verboten. Meinungsfreiheit, politische Parteien, Gewerkschaften, Krankenversorgung, Alters- und Sozialfürsorge, Arbeitslosenschutz waren für Israelis selbstverständlich, für Palästinenser jedoch nicht existent.“ (Farhat-Naser 120f)
Dr. Farhat-Naser berichtet über die Barrikaden, die die Palästinenserinnen innerhalb der eigenen Gesellschaft sprengen mußten. Zwar wurde bereits 1929 die erste überkonfessionelle „Palästinensische Frauenunion“ gegründet, aber viel später erst wurde sie von der PLO als anerkannte Einrichtung aufgenommen. Zunächst orientierten sich diese Frauen an ihren eigenen Männern im Kampf um soziale und politische Gerechtigkeit. Es war zudem gar nicht möglich, dem androzentrischen Machtgebaren und egoistischen Denken entgegenzutreten, da diese sich als logisches Erbe jahrhundertelanger Feudal- und Patriachalstruktur etabliert hatten. Erst als palästinensische Frauen nach Einführung der Schulpflicht ab 1954 eine Generation mit hoher Sensibilität für soziale und gesellschaftspolitische Probleme darstellten, wuchs ihr Bewusstsein für den doppelten Unterdrückungsmechanismus, dem sie ausgeliefert waren. Ihnen wurde bewusst, dass Tradition, Sitten und Religion missbraucht wurden, um die Herrschaft der Männer zu festigen, Rechte der Frauen hingegen unmöglich zu machen. Diese Frauen wurden sich auch bewusst, dass sie keine freien Entscheidungen treffen konnten, da für sie Bildungsmöglichkeiten begrenzt waren, Gewalt in ihren Familien sie psychisch zerstörte und allgemein sozialer Druck sie daran hinderte, in Freiheit Entscheidungen zu treffen, Rechte einzuklagen, sich politisch zu betätigen. Hinzu kam eine explosive Diskrepanz der Frauen untereinander, denn sie entstammten nicht einem homogenen Umfeld. Hier trafen Frauen aus verschiedenen Generationen aufeinander; es prallten Sichtweisen von Frauen aus Dörfern und Flüchtlingslagern und Frauen aus Städten aufeinander; unterschiedliche, disparate soziale Schichten, deren Bildungsniveau nicht einheitlich, deren politische Auffassungen konträr waren. So konnte zunächst kein gemeinsames Ziel als übergeordnetes Handlungsprinzip von diesen Frauen gefunden werden. Jede angebotene Hilfe von außen musste der Förderung von Selbsthilfe untergeordnet werden. Auseinandersetzungen zwischen etablierten und modernen Sichtweisen der palästinensischen Frauen führten folglich zur Gründung zahlreicher Komitees mit unterschiedlichen Zielsetzungen zwischen 1978 und 1982.
Frauen, deren Vorstellungen traditionell orientiert waren, sahen in dem Wunsch nach Umsetzung von Demokratie, in der Absicht gesellschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen, einen Affront gegen sich selbst und deuteten solche Handlungsintentionen als anarchisch. Angesichts dieser komplexen strukturellen, innerpalästinensischen Gegensätzlichkeit war es erforderlich, Programme und Projekte zu entwickeln, die über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit eröffneten, mit Frauen Gespräche über ihre eigenen Rechte innerhalb der Gesellschaft zu führen; über Rollenverhalten, allgemeine Menschenrechte, soziale Fragen, Gender- und nationale Identität, Entwicklung und Beteiligung an politischen Prozessen innerhalb der Gesellschaft. Die Durchführung solcher Projekte hatte meist das Aufbegehren der palästinensischen Männer zur Folge, die bemüht waren, ihren Frauen die Teilnahme an öffentlichen Versammlungen zu untersagen. „Wir erkannten, dass wir eigentlich die Männer erziehen müssten; ... doch dies laut auszusprechen wagten wir nicht. Nie würden sie sich von Frauen etwas beibringen lassen, und erst recht würden sie keine Vorschriften von Frauen befolgen.“ (Farhat-Naser 111) Nur durch Strategie gelang es den Frauen, Männer beispielsweise in ihrer Sorge um eigene Belange hellhörig zu machen, d.h. sie selbst zur Teilnahme an Grundprogrammen zu bewegen, um ihnen so zu persönlichen Einsichten zu verhelfen. Der Einsicht nämlich, dass die Inhalte des Gelernten sowohl den Männern selbst als auch ihren Familien und der eigenen Gesellschaft zugute kamen.
3. „Jerusalem Link“
“Mit dem Feind sprechen bedeutet, ihn zu akzeptieren.“ (Farhat-Naser 116)
Die andauernde Besatzungssituation hatte den Palästinensern deutlich vor Augen geführt, dass sie bei ihrer Suche nach Identität und Heimat, bei dem Ziel der Existenzsicherung und Selbstbestimmung ihres Volkes, nicht länger das Existenzrecht Israels in Frage stellen konnten. Nur die Anerkennung zweier Staaten für zwei Völker würde zu einer Lösung der Probleme führen. Ohne das Überleben der Israelis war das Überleben des palästinensischen Volkes Utopie.
Die palästinensischen Frauenrechtlerinnen begriffen in dieser Situation, dass es von äußerster Wichtigkeit war, mit den israelischen Frauen in Kontakt zu treten. Da die israelischen „Frauen in Schwarz“ gegen die Übergriffe der eigenen Armee vehement protestierten, d.h. sich selbst der Kritik konservativer Kräfte stellten und entgegenstellten, sich für die Rechte des „Feindes“ einsetzten, konnten die Palästinenserinnen sich mit diesen Frauen sowohl emotional als auch politisch solidarisch erklären. Sie konnten dies tun, ohne in ihnen den „Feind“ sehen zu müssen. Die Bereitschaft der Israelinnen und Palästinenserinnen zu gemeinsamen Gesprächen war vorhanden, sodass noch im Jahr 1988 das erste Treffen zwischen sechs Israelinnen und sechs Palästinenserinnen in West-Jerusalem organisiert wurde.
Im Mai 1989 begegneten sich die verhandlungsbereiten Frauen auf der ersten Internationalen Palästinensisch-Israelischen Frauenkonferenz in Brüssel unter der Schirmherrschaft des Centre Communautaire Laic Juif, einberufen von der Belgierin Simone Süsskind unter dem Titel „Give peace a chance: Women speak out“. Prominente Frauen und Friedensaktivistinnen beider Seiten formulierten eine gemeinsame Erklärung, nach der sie sich zur friedlichen Lösung des Konfliktes verpflichteten; und zwar unter Anerkennung der Rechte aller in den Konfliktzonen lebenden Menschen, die ein Recht auf Würde und Sicherheit haben. Als zweiter Punkt wurde das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung neben Israel anerkannt sowie das Recht der Streitenden, ihre Abgeordneten zu wählen. Jahre später beschrieb Süsskind wie sehr die palästinensischen Frauen im Mai 89 unter dem Eindruck der Unterdrückung gestanden und fast nicht den Mut gehabt hatten, vor allen laut das Wort zu ergreifen. „Dann stand eine Palästinenserin auf und sagte, dass sie ihren Traum aufgeben müsse, nach Jaffa zurückzugehen und die Israelinnen ihren Traum aufgeben müssten, Hebron und Jericho zu behalten, wenn jegliche Art Fortschritt zustande kommen solle. Von diesem Augenblick an änderte sich die Atmosphäre der Konferenz völlig und die dann folgenden Diskussionen wurden sehr fruchtbar....“ (aus dem Engl. übers. nach: JCW, 1997 Annual Report, 8)
Zehn Monate später, am 10. März 1990, wurden die im Mai 1989 formulierten Prinzipien erneut erklärt und bestätigt. Galia Golan von Bat Shalom nannte diese gemeinsam erarbeiteten Grundsätze „six principles of minimal agreement“. Bei der zweiten Internationalen Palästinensisch-Israelischen Frauenkonferenz in Belgien im September 1992, bei der schon zwanzig Israelinnen und zwanzig Palästinenserinnen (davon zehn Politikerinnen aus Tunis) anwesend waren, dienten diese Prinzipien als Wegbereiterin für die Gründung von Jerusalem Link. Da die Europäische Gemeinschaft das Treffen in Brüssel finanziert hatte, unterstützte sie anschließend das Projekt Jerusalem Link.
Hierbei handelt es sich um zwei voneinander unabhängig seit März 1994 bestehende, autonom verwaltete Frauenzentren: einerseits um das in West-Jerusalem gelegene israelische Frauenrechtszentrum Bat Shalom, unter der derzeitigen Leitung von Terry Greenblatt, andererseits um das JCW in Ost-Jerusalem, Beit Hanina, unter der Direktion von Dr. Sumaya Farhat-Naser. In Kooperation erstellten die Frauen beider Zentren am 2. August 1996 die Grundsatzerklärung von Jerusalem Link, die die Realisierung der gemeinsamen Friedensvision zum Ziel hat.
Aussichten
Angesichts der seit Anfang Oktober 2000 vehement aufgeflammten Kriegsmentalität im Nahen Osten müssen die Frauen im Jerusalem Link voller Entsetzen die wohlbekannte Ohnmacht in Sachen politischer Einflussnahme erneut ertragen. Allen Friedensabkommen der letzten sieben Jahre zum Trotz, geben androzentrisches Machtstreben und politisches Kalkül erneut den Ton im Alltag Israels an. Das Projekt der Israelinnen und Palästinenserinnen steht auf dem Prüfstand und fordert schier unmenschliches Durchhaltevermögen, strategisches Geschick und ethisch-moralische Stärke der Friedensaktivistinnen gegenüber dem jeweils eigenen Volk sowie gegenüber der Partnerorganisation. Gefordert sind nun Frauen auch außerhalb Israels, sich im Sinne Sandra Hardings als „Geschlecht des Wissens“ zu äußern und zu zeigen. Es bedarf ihrer Solidarität, ihres Wortes, in der Öffentlichkeit Position für die Verfechterinnen des Friedens zu beziehen. Frieden ist kein ausschließlich individuell oder national zu betrachtender positiver, emotionaler Zustand – dann wäre er ein Euphemismus. Frieden ist nur Frieden, wenn er die Grenze des Individuellen und Nationalen überschreitet. Dieses Bewußtsein für Frieden ist bei weitem noch nicht existent. Deshalb sind Frauen vonnöten, die im Sinne der Beschreibung von Sandra Harding als erkennende Subjekte, als „Akteurinnen auf der Bühne der Geschichte“ aktiv sind. Aktion existiert nicht per se; sie erfordert den Mut zur verantwortungsvollen Tat.

Literaturverzeichnis:
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Dachs, Gisela (Hrsg.), Deutsche, Israelis und Palästinenser: Ein schwieriges Verhältnis. Heidelberg: Palmyra, 1999.
Darwisch, Mahmoud. Palästina als Metapher: Gespräche über Literatur und Politik,
Heidelberg: Palmyra, 1998.
Farhat-Naser, Sumaya. Thymian und Steine: Eine palästinensische Lebensgeschichte,
Basel: Lenos, 19987.
Feinberg, Anat. „Die (Wieder-) Entdeckung der „Jeckes“ in der hebräischen Literatur“ MB – Mitteilungsblatt des Irgun Olei Merkas Europa, August / September (1999): 147.
Greve, Astrid. Erinnern lernen: Didaktische Entdeckungen in der jüdischen Kultur des Erinnerns. Neukirchen – Vluyn: Neukirchener 1999.
Harding, Sandra. Das Geschlecht des Wissens. Frankfurt / Main: Campus 1994.
Meyer, Hans-Georg und Klaus Wiegerling, Hrsg. Homeland: Which shines into the
childhood of all and in which no one has yet been. Frankfurt a. M.: Brandes and Apsel, 1997.
Neustadt, Amon. Ist der Traum ausgeträumt? Israels Gesellschaft an der Schwelle zum Jahr 2000. Stuttgart und Leipzig: Hirzel 1999.
Tophoven, Rolf. Der israelisch – arabische Konflikt. Bonn: 1995.
Women for Peace [ed.-in-chief Staša Zajović]. Belgrad: 1997.
Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten, Hrsg. Between the Lines: German, Israeli and Palestinian Women in Dialogue. Bonn und Jerusalem: 2000.
Jerusalem Center for Women of the Jerusalem Link: A women’s joint venture for Peace. Annual Report: 1997.
Badran, Amneh, Daphna Golan und Jack Persekian, Hrsg. Sharing Jerusalem: Two Capitals for Two States. Jerusalem: 1997.