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Vorwort von Marie-Louise Jung

Wonach suchte Erika Bentfeldt, als sie 1954 im Alter von 21 Jahren ihr erstes Gedicht schrieb? Ein Jahr zuvor noch Abiturientin, studierte sie nun Kunst an der Werkkunstschule in Darmstadt mit dem Schwerpunkt Bildhauerei. Anschließend absolvierte sie an der Technischen Hochschule in derselben Stadt ihr Architekturstudium. Da das Kunststudium im Volksmund als brotlose Kunst' galt, empfahl der Vater wohlmeinend der Tochter in einer ersten Phase der Selbstzweifel, sich einen Brotberuf zu suchen. In welchem Spannungsfeld musste sich die junge Frau, die von der Mutter die künstlerischen Begabungen und Fähigkeiten geerbt hatte, vom Vater die mathematisch-analytischen, bei der Suche nach einer Existenzgrundlage bewegen? Das Streben nach Unabhängigkeit, Neugierde auf die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Materialien und deren Ausdrucksqualitäten mögen sinngebend bei der Wahl der Fächer gewesen sein. War Erika Bentfeldt im Umgang mit den Medien Stein und Ton, die ihre bevorzugten Materialien waren, die ihre Hände formend berührten, ihre Augen abwägend betrachteten, um sie anschließend zu gestalten, so bewegt, dass sie ihrer Berührtheit durch Worte Ausdruck verschaffen wollte? Oder drangen die Medien selbst, drangen deren Teile und Bewegungen in ihre Worte, ihre Sprache ein? Der vorliegende Gedichtband dokumentiert die von 1954 bis 2006 mit Unterbrechungen entstandenen drei Gedichtzyklen, die Erika Bentfeldt selbst beschreibt als ˇSuchen und Findenˇ, ˇLebenskrisen und Neuausrichtungˇ, ˇSterben und Todˇ. Fünf Jahrzehnte innerlicher und innerer Auseinandersetzungen mit den das menschliche Bewusstsein erstaunenden, quälenden, suchenden Fragen. Fünf Jahrzehnte Erfahrungen, Erkenntnisse und Beweggründe einer Frau, die ihre Lyrik erst jetzt, im Alter von über 70 Jahren der Öffentlichkeit enthüllt, sie Anteil nehmen lässt an ihrer Welt bewegender und bewegter Gedanken. Langsam öffnet uns Bentfeldt einen Spalt breit den Zugang zu ihrer Seele, die zunächst allein auf der Suche, wie ein Fluss sich vereinigt mit dem strömenden Wasser, Schwester sei mir". Der Wunsch, sich das strömende Wasser als Schwester und Meister zu ersehnen, enthüllt die uneingeschränkte Hingabe an das tosende Element, dessen Wege und Bewegungen keinen Stillstand erlauben. Sehnte sich die Bildhauerin bei der Bearbeitung starrer, harter Materie nach der einzigartigen, vom Schöpfer gegebenen Fähigkeit der Überwindung der Härte durch flüssig Fließendes? Dem Traum des Menschen, alle Gegensätze in Harmonie zu vereinen? Die Strophe Dein Weg ist Behauptung und Hingabe zugleich. Dem starren Gestein schleifst Du die scharfen Spitzen. Zur Harmonie rundest Du sie, zum Einklang. Einer Runenschrift gleich prägst Du dem Felsen Dich ein", spiegelt den Wunsch des lyrischen Ich, es diesem Du", der Schwester gleichtun zu können. Fünf Jahrzehnte, fünf Topoi, deren thematischem ˇBeginnˇ ein ˇWegˇ folgt; dann das sich anschließende ˇDuˇ, welches im Äußeren, im Anderen wie auch im eigenen Selbst, im Spiegelbild als Begegnung erfahren wird. Belebung erhält das lyrische Ich in der ˇWendeˇ, die der suchenden Seele dieses Ich die Stimme, den Ruf einer anderen Seele zuteil werden lässt und dadurch die noch verschlossene Welt aufbricht. Schließlich ˇStilleˇ, Rückzug aus der Welt der Materie in die Abgründe und Höhen des Schweigens, der Einsamkeit, der Erkenntnis von Leere und der damit verbundenen Bereitschaft, sich ˇfüllenˇ zu lassen von der göttlichen Weisheit. Seele und Herz in ihrer äußersten Konzentration auf Schweigen und Zurückhaltung gerichtet, entfernen sich zunehmend vom alltäglichen Geschehen, um in eine höhere Sphäre des Bewusstseins vorzudringen. Die Bilder ˇLichtˇ und ˇHimmelˇ überstrahlen das Sein, transzendieren zu lyrischen Klangbildern, deren feinstoffliche Beschaffenheit der Leichtigkeit Raum verschafft. Plötzlich erfasst uns die Simultaneität beider Welten, der jenseitigen wie auch der irdischen, transformiert durch den subtilen Blick sowie die Bewegungs- und Erlebnisfähigkeit des lyrischen Ich, das sich im ˇWirˇ wiederfindet. Doch damit die überquellende, neu gewonnene Lebensenergie und Freude nicht zur Explosion der Kräfte führen, beherrscht sich das ˇIchˇ, Mein Herz, halte still und spring nicht wie wild vor Freude, bewahre das Glück als Kraft, die du in einsamen Stunden brauchst." Eine neue Dimension, die ˇAnkunftˇ ist erreicht, die zugleich den Abschluss der fünf Topoi darstellt. In ihr wiederholen sich fragmentarisch alle Elemente der vorausgegangenen, in vier Jahrzehnten wahrgenommenen Phänomene. Doch verdichten sie sich, werden erneut Materie, lassen filmgleich alle Erlebnisse des gelebten Lebens vor dem inneren Auge Revue passieren, um sich mit dem Tod, der Erde, dem Licht zu verbünden. In ˇVerwandlung zum Todeˇ durchleuchtet das lyrische Ich mit Fragen alle Eventualitäten und Bedingungen der eigenen Wahrnehmung, sowohl der physischen als auch der psychischen. Der letzte Vers kulminiert in der grandiosen Erkenntnis Ich bin Ich". War es das Licht in Steinen", dessen energiegeladene Kraft die junge Bildhauerin verspürte und das sie aus der stärksten Materialisation herausarbeiten wollte? Der Dichterin gelingt es, uns in Abwesenheit der Steine deren höchste Auflösung als Licht und Freude spüren zu lassen. Marie-Louise Jung